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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 26.07.2006
Aktenzeichen: 7 U 222/05
Rechtsgebiete: ZPO, AUB 99-XXL, VVG


Vorschriften:

ZPO § 287
AUB 99-XXL § 6 Ziff. 2. 4
VVG § 12 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Kläger beansprucht aus der bei der Beklagten genommenen Unfallversicherung, der die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen AUB 99-XXL zugrundeliegen, eine weitere Invaliditätsleistung mit der Behauptung, seine mitversicherte Lebensgefährtin habe sich am 29. Dezember 2000 bei einem Skiunfall überschlagen und sei mit Kopf und Schulter aufgeschlagen. Hierbei habe sie sich eine Kopfgelenkverletzung sowie einen Halswirbelsäulenschaden zugezogen, was dauerhaft zu Bewegungseinschränkungen des Kopfgelenks, Schmerzzuständen, Gleichgewichtsstörungen, Schwindelattacken, Übelkeit, Doppelbildern und Ohrgeräusch sowie zur Herabsetzung der Konzentrations- und Merkfähigkeit geführt habe. Der dadurch bedingte Invaliditätsgrad sei mit 43,2 % zu bemessen.

Die Beklagte hat im Hinblick darauf, dass die Versicherte nach dem behaupteten Sturz sowie am Folgetag noch weiter Ski gelaufen sei, die Unfallbedingtheit einer Bandscheibenschädigung bestritten und unter Bezugnahme auf die von ihr eingeholten unfallchirurgischen Gutachten des Sachverständigen Dr. SV1 vom Freien Institut für Medizinische Begutachtungen O1 sowie des Leiters der Unfallchirurgischen Abteilung der Universität O2 Prof. Dr. SV2 lediglich eine folgenlos abgeheilte Teilschädigung des Kopfgelenkbandes (Ligamenta alaria) mit einem Invaliditätsgrad von 5 % als erwiesen angesehen und durch Zahlung von 5.113.- € entschädigt.

Das Landgericht hat nach Einholung eines neurochirurgischen Gutachtens des Direktors der Neurochirurgischen Klinik der Universität O3 Prof. Dr. SV3 sowie Anhörung des mitbegutachtenden Sachverständigen Dr. SV4 die Klage mit der Begründung abgewiesen, nach den Feststellungen der vorliegenden Gutachten sei lediglich ein Invaliditätsgrad von 5 % erwiesen, der entschädigt sei, die Voraussetzungen für die Einholung eines Obergutachtens bzw. eines neuropsychiatrischen Gutachtens seien nicht gegeben.

Mit seiner Berufung hält der Kläger daran fest, dass die vor dem Unfall gesunde und beschwerdefrei sportlich aktive Versicherte unfallbedingt an erheblichen Bewegungseinschränkungen, Störungen der räumlichen Orientierung, Schwindelattacken, Ohnmachtsneigungen, Störungen der Konzentrations- und Merkfähigkeit sowie an einem depressiven Syndrom leide, so dass sie als Grundschullehrerin nicht mehr dienstfähig sei und im 37. Lebensjahr in den Ruhestand habe versetzt werden müssen. Dieser nach § 287 ZPO auf der Hand liegende Kausalzusammenhang sei weder von den vorprozessual erstatteten noch von dem vom Landgericht eingeholten Gutachten berücksichtigt worden, so dass durch Obergutachten bzw. Einholung eines neuropsychiatrischen Gutachtens festzustellen sei, dass sämtliche unter Zeugenbeweis gestellten Beschwerden der Versicherten auf der Schädigung der Ligamenta alaria und der darauf beruhenden Instabilität des Kopfgelenks beruhen und für diese Verletzung geradezu typisch seien. Soweit die unfallbedingten Beschwerden der Versicherten ein depressives Syndrom hervorgerufen hätten, sei dessen Berücksichtigung nicht nach § 6 Ziff. 2. 4 AUB 99 XXL ausgeschlossen, da dieses auf der organischen Verletzung der Ligamenta alaria beruhte.

Der Kläger beantragt daher,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Beklagte zur Zahlung von 75.671,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. Dezember 2003 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens, hält in Ansehung der insoweit übereinstimmenden und überzeugenden Feststellungen der vorliegenden Gutachten die Voraussetzungen für die Einholung eines Obergutachtens oder eines neuropsychiatrischen Gutachtens für nicht gegeben und beruft sich auch weiterhin auf Versäumung der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch erneute Anhörung des Sachverständigen Dr. SV4. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12. Juli 2006 verwiesen.

Die form- und fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg, denn die Klage ist nicht begründet.

Zwar ist entgegen der Auffassung der Beklagten die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG gewahrt. Soweit die Beklagte ihre Leistungspflicht erstmals mit Schreiben vom 30. Juli 2003 unter Hinweis auf die Folgen einer Fristversäumung abgelehnt hat, ist dies für die Fristwahrung ohne Bedeutung. Die Beklagte ist nämlich anschließend in die Leistungsprüfung eingetreten und hat mit Schreiben vom 8. Dezember 2003, mit dem sie einen über den anerkannten Betrag von 5.113.- Euro hinausgehenden Anspruch abgelehnt hat, den Kläger dahin belehrt, dass eine gerichtliche Geltendmachung innerhalb von 6 Monaten ab Erhalt dieses Schreibens erfolgen müsse. Diese Frist hat der Kläger durch Faxeinreichung der Klageschrift am 8. Juni 2004 gewahrt, da die Klage alsbald danach, nämlich am 1. Juli 2004 zugestellt wurde. Die eingetretene Verzögerung der Zustellung hat nicht der Kläger zu vertreten, denn er hat die erforderliche Einzahlung der Gerichtskosten bereits am 9. Juni 2004 geleistet, so dass zu diesem Zeitpunkt und nicht erst 3 Wochen danach hätte zugestellt werden können.

Dem Kläger steht jedoch kein über den entschädigten Invaliditätsgrad von 5 % hinausgehender Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsleistung zu.

Es mag ohne Beweiserhebung als dem Kläger günstig unterstellt werden, dass die Mitversicherte am 29. Dezember 2000 in der behaupteten Weise gestürzt ist und dass sie nach wie vor an den behaupteten, von der Beklagten zulässig mit Nichtwissen bestrittenen Beschwerden und Beeinträchtigungen leidet, denn diese sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auf unfallbedingte Verletzungsfolgen zurückzuführen.

Soweit als Ursache der Beschwerden die bei der kernspintomographischen Untersuchung der Halswirbelsäule am 12. Januar 2001 durch den Facharzt für Radiologie Dr. SV5 festgestellte linksbetonte Vorwölbung von Bandscheibengewebe in Höhe HWK 4/5 in Betracht zu ziehen wäre, ist dieser Befund nicht auf das behauptete Unfallgeschehen zurückzuführen. Nach den eindeutigen und überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. SV4 in seinem Gutachten sowie bei seiner Anhörung vor dem Senat kann ein Bandscheibenschaden als Folge eines Sturzes der behaupteten Art nur dann angesehen werden, wenn die traumatische Einwirkung so stark erfolgt ist, dass es entweder zu einer massiven Verschiebung der Wirbelkörper bzw. zu knöchernen Schädigungen oder aber zu Zerreißungen von Bandstrukturen gekommen ist, die zwangsläufig mit Einblutungen im Bereich der geschädigten Wirbelsäule verbunden sind. Derartige Verletzungsbilder sind weder bei der 2 Wochen nach dem behaupteten Unfall durchgeführten kernspintomographischen Untersuchung noch durch spätere bildgebenden Verfahren festgestellt worden. Im Befundbericht vom 12. Januar 2001 ist ausdrücklich festgehalten, dass keinerlei knöcherne Verletzungen und auch keine Ödemzonen im Fettmark der Wirbelkörper zu erkennen waren und Zeichen einer Subluxation nicht bestanden. Auch die Kernspinaufnahmen vom 25. Juni und 24. August 2001 sowie die im Institut für Diagnostische Radiologie der Universität O2 am 25. September 2003 gefertigten Röntgenaufnahme ergaben keinerlei Hinweis auf frische oder stattgehabte Verletzungen der Band- bzw. knöchernen Strukturen, so dass der Sachverständige Dr. SV4 schon deshalb zu der eindeutigen Feststellung gelangte, dass der Bandscheibenvorfall in Höhe HWK 4/5 mit Sicherheit nicht mit dem behaupteten Unfallereignis in Einklang gebracht werden kann. Dies umso mehr, als die für einen traumatisch bedingten Bandscheibenvorfall notwendigen dramatischen Verletzungsfolgen immer mit einer unmittelbar einsetzenden ausgeprägten Schmerzhaftigkeit mit massiven Sensibilitätsstörungen bis hin zur Querschnittssymptomatik verbunden sind, die jede auch nur kurzzeitige sportliche Aktivität der verletzten Person ausschließt. Nach eigenen Angaben der Mitversicherten gegenüber den Sachverständigen Dr. SV1 und Prof. Dr. SV2 sowie dem damit übereinstimmenden Vortrag in der Klageschrift hat die Mitversicherte nach dem behaupteten Sturz nicht nur an diesem Nachmittag, sondern auch am darauffolgenden Vormittag das Skifahren fortgesetzt und dieses erst um die Mittagszeit aufgrund des dann massiv gewordenen Schmerzzustandes eingestellt. Eine derartige Fortsetzung sportlicher Betätigung ist aber nach der eindeutigen, mit den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. SV2 übereinstimmenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. SV4 bei einem aufgrund schwerwiegender traumatischer Verletzungen eingetretenen Bandscheibenvorfall keinesfalls mehr möglich, und zwar auch dann nicht, wenn dem Patienten eine beträchtliche Schmerztoleranz zugebilligt wird.

Die von der Mitversicherten geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen sind auch nicht auf eine unfallbedingt eingetretene Verletzung des Kopfgelenks zurückzuführen. Zwar zeigten sich in den am 27. und 28. Mai 2002 gefertigten Kernspinaufnahmen Strukturunregelmäßigkeiten an den Ligamenta alaria, die der Sachverständige Dr. SV4 als Hinweis auf eine durch Dehnung bzw. Zerrung der Bandstrukturen eingetretenen Einblutung erkannte, was auch mit dem beschriebenen traumatischen Ereignis in Einklang zu bringen sei. Dieser im schriftlichen Gutachten als diskrete Strukturunruhe beschriebene Hinweis auf eine stattgehabte Dehnung bzw. Zerrung der Ligamenta alaria hat jedoch nicht zu einer Dehiszenz der Bandstrukturen und damit weder zu einer Instabilität des Kopfgelenkes noch zu einer Fehlstellung geführt, vielmehr blieben die volle Belastbarkeit und Tragfähigkeit der Bandstrukturen und damit die uneingeschränkte Funktionsfähigkeit erhalten. Soweit der Facharzt für Diagnostische Radiologie Dr. SV6 in seinem Bericht vom 28. Mai 2002 die Strukturunregelmäßigkeit an den Ligamenta alaria als Hinweis auf eine Ruptur der densnahen Gelenkkapsel deutete, konnte dies von dem Sachverständigen Dr. SV4 mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Nach seinen klaren und überzeugenden Feststellungen lassen sich den von Dr. SV6 gefertigten Kernspinsequenzen trotz eingehender Überprüfung Zeichen einer Instabilität gerade nicht entnehmen, die in Form von im Laufe der Zeit verstärkten Abnutzungserscheinungen an anderen Bandstrukturen oder im knöchernen Bereich hätten auftreten müssen. Derartige sekundäre Verschleißerscheinungen im Sinne einer subklinischen Instabilität lassen sich nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. SV4 aber keiner der im Laufe der Zeit gefertigten Kernspin- und Röntgenaufnahmen entnehmen, so dass nicht nur er, sondern auch der unfallchirurgische Facharzt Dr. SV1 in seinem Gutachten vom 21. Juli 2003 sowie der Facharzt für Radiologie Dr. SV7 eine Traumatisierung der Gelenkkapsel im Sinne einer Kapselrandpathologie, eine Schädigung des Gelenkbandes sowie eine Densfehlstellung sicher ausschlossen und eine anatomisch vollkommen regelrechte und stabile Stellung des Kopfgelenkes bei regelrecht mittelständig positioniertem Dens bestätigten.

Aufgrund der Tatsache, dass durch das behauptete Unfallgeschehen keinerlei knöchernen Verletzungen oder Zerreißungen von Bandstrukturen erfolgt sind und die Mitversicherte sowohl nach dem Sturz als auch noch am darauffolgenden Vormittag in der Lage war, Ski zu laufen, ist mit dem Sachverständigen Dr. SV4 von einem leichten bis mittleren Beschleunigungstrauma auszugehen, das Beschwerden der Art, wie sie die Mitversicherte klagt, verursacht, die aber in 98 % aller Fälle nach etlichen Wochen, längstens aber nach 6 Monaten folgenlos abklingen. Soweit die Mitversicherte das unveränderte Fortdauern der unfallbedingt aufgetretenen Beschwerden klagt, rechnet der Sachverständige Dr. SV4 dies dem geringen Prozentsatz der Geschädigten zu, die aufgrund der unfallbedingt aufgetretenen Beschwerden und Beeinträchtigungen depressive Krankheitsbilder entwickeln, wie er dies auch bei der Mitversicherten in Form einer depressiven Grundstimmung feststellen konnte. Für krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn diese - wie hier - durch einen Unfall hervorgerufen werden, setzt die Leistungspflicht der Beklagten gemäß § 6 Ziff. 2.4 der vereinbarten Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen AUB 99 XXL voraus, dass die Störungen und Beschwerden auf eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems zurückzuführen sind. Gegen die Wirksamkeit des darin enthaltenen Leistungsausschlusses für krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Der verständige Versicherungsnehmer wird dieser Bestimmung entnehmen, dass die umfassende Leistungszusage der Beklagten nicht uneingeschränkt gelten soll, sondern Gesundheitsstörungen infolge psychischer Reaktion davon ausgenommen sein sollen, es sei denn, dass sie auf einer unfallbedingten organischen Schädigung beruhen (vgl. BGH in VersR 2004, 1449 und in VersR 2004, 1039). Dies ist vorliegend nicht der Fall, denn die auf das behauptete Unfallgeschehen zurückzuführende Beschleunigungsverletzung Grad 1 bis 2 ist - wie bereits dargelegt - nach längstens 6 Monaten folgenlos ausgeheilt, so dass die von der Mitversicherten weiterhin geklagten Beschwerden und Störungen keine organische Ursache haben. Dies steht nach den einleuchtenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. SV4 zur Überzeugung des Senats fest, ohne dass es hierzu einer weitergehenden Aufklärung bedarf (§ 412 ZPO). Nach den auch insoweit sachkundigen und überzeugenden Darstellungen des Sachverständigen handelt es sich bei den fortdauernden Beschwerden der Mitversicherten um eine ausschließlich psychisch bedingte Reaktion in Form einer psychischen Fehlverarbeitung der Verletzungsfolgen, für die der wirksam vereinbarte Leistungsausschluss des § 6 Ziff. 2.4 AUB 99 XXL eingreift (vgl. Grimm, 4. Aufl. AUB 99 Nr. 5 Rn 102 m. w. Nw).

Die Berufung war daher mit den Nebenfolgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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